„Das Bedürfnis nach
sozialer Interaktion in Präsenz wird immer eine Rolle spielen.“  

Prof. Dr. Sandra Aßmann über Orte des nonformalen und informellen Lernens

Fotos:

CROSS Architecture (Foto: rendertaxi)
RUB, Kramer

Wie lehrreich ist das digitale Leben, auch verglichen mit dem analogen?

Prof. Dr. Sandra Aßmann: Die Unterscheidung in Digital und Analog finde ich heutzutage sehr schwierig. Selbst wenn Sie in ein Kloster schauen, werden Sie einen Online-Shop finden, mit dem die Nonnen und Mönche ihre Weine und Naturprodukte verkaufen. Ganz und gar ohne digitalen Zugriff auszukommen, ist heute beinahe nur noch in Extremsituationen denkbar.

Deswegen müssen wir lernen, mit den Medien unserer Zeit klarzukommen. Es hat eine gewisse Tradition, nach Aufkommen eines neuen Mediums davor zu warnen: ob die Angst vor einer Lesesucht, die Bedenken gegenüber Lichtspielhäusern oder die Sorge vor der Wirkung von digitalen Medien.

Jüngst haben wir die Anwendung digitaler Medien durch das Online-Studium in purer Form erlebt und können sagen, dass es natürlich Vorteile hat und die Lehre auch ohne physische Anwesenheit ermöglicht. Trotzdem haben wir festgestellt, dass uns die Präsenz, die Sprechstunden und die persönliche Interaktion mit all ihren Mehrwerten fehlen. Deswegen versucht die Bildungslandschaft, das Beste aus beiden Welten zu verbinden, auszureifen und zu nutzen.

Prof. Dr. Sandra Aßmann, geboren 1981, ist seit 2016 Universitätsprofessorin für Soziale Räume und Orte des nonformalen und informellen Lernens an der Ruhr-Universität Bochum, zuvor war sie Juniorprofessorin für Erziehungswissenschaftliche Medienforschung an der Universität zu Köln (2013–2016).

Stichwort Digitalisierung: Welche Impulse muss ein Ort, ein Gebäude senden, um für die verschiedensten Generationen attraktiv und zugänglich zu sein?

SA: Ganz trivial gesagt muss natürlich erst mal die Ausstattung den digitalen und technologischen Anforderungen gerecht werden: genügend Steckdosen an den richtigen Orten mit Aufenthaltsqualität, geeignete Möbel und flächendeckendes Wifi. Außerdem sind es die unterschiedlichen Teilbereiche mit verschiedenen Funktionen, die letztlich verschiedene Generationen und von Besucherinnen und Besuchern locken. Ruhiges, konzentriertes Arbeiten funktioniert am besten in abgeschirmten Bereichen, in denen man etwas recherchieren kann. Andererseits braucht es auch offene Orte des Austausches, an denen man diskutieren und gemeinsam am Bildschirm kollaborativ sein kann. 

Welche Lernprozesse sind nachhaltiger? Formelle oder informelle? Analoge oder digitale?

SA: Die formellen Lernprozesse finden z. B. in der Schule statt, wobei die Schulpflicht eine wichtige Rolle spielt. Der nonformale Bereich ist ein organisierter Kontext, wie wir ihn z. B. aus der Volkshochschule kennen, und besitzt durchaus ein Programm und auch Ziele, jedoch ist die Teilnahme freiwillig. Dadurch sind die Lernprozesse intrinsisch motiviert, es gibt keine Zensuren wie in schulischen Zusammenhängen. Man kann ebenso nachhaltige Lernerfolge auf der informellen Ebene erleben, und doch kann man sich nicht in den Lebenslauf schreiben, dass man z. B. mehrere Hochzeiten für Freunde geplant und erfolgreich durchgeführt hat, weil es eben informelles und nicht zertifiziertes Lernen ist. In meiner Forschung interessiert mich insbesondere, inwiefern gerade die Freiwilligkeit und die Charakteristika der Räume und Orte eine Rolle für nachhaltiges Lernen spielen. 

Welche Rolle spielt dabei das Setting, die Atmosphäre eines Ortes, für die Qualität des Lernens?

SA: Es gibt ganz tolle Beispiele für reformpädagogisch inspirierte Orte, die nach bestimmten Grundsätzen gebaut wurden und von didaktisch durchdachter Architektur profitieren. 

Hier unterscheiden sich wieder Räume des konzentrierten Arbeitens von den Bereichen des kollektiven Lernens sowie von Ebenen, die auch Gruppen miteinander vermischen und einfach durch ihre Erscheinung einladen. Auch die mobile und flexible Raumgestaltung ist also schon ein wichtiges Werkzeug, um die Lernatmosphäre und Umgebung zu verändern. 

Verschiedene Lernprozesse benötigen verschiedene Settings. Wenn viel an Bildschirmen gearbeitet wird, ist auch Tageslicht unumgänglich, doch zu viel Glas führt im Sommer schnell zu Hitze im Gebäude. Für ein optimales physisches Lernklima sollten diese Punkte unbedingt bedacht werden.

Wie schätzen Sie heute, morgen und übermorgen die Wichtigkeit analoger Orte des Lernens ein?

SA: Das Bedürfnis nach sozialer Interaktion in Präsenz, bei der man sich physisch und real in Gänze sieht, wird immer eine Rolle spielen. Es gab schon Konzepte, in denen Bibliotheken und Volkshochschulen digital in einer virtuellen Welt angelegt wurden. Der große technische Hype kam, verschwand allerdings auch genauso schnell, obwohl die Qualität kaum zu wünschen übrig ließ. 

Auch das Bedürfnis nach Hilfestellung ist nicht zu unterschätzen, gerade wenn es darum geht, sich etwas Neues anzueignen. Dann ist es einfach naheliegend, jemanden zu fragen, der vor Ort ist und sich auskennt. Es geht dabei auch um die Art und Weise, wie individuell etwas erklärt wird, oder ob es in einem der zahlreichen YouTube-Tutorials im Internet abgedeckt wird. Manches funktioniert auch online, aber gerade in der Beratung bieten analoge, physische Orte eine bessere Hilfestellung. Bochum hat nun in der postindustriellen Phase die Chance, einzigartige Gebäude in Orte des informellen Lernens zu transformieren

„Bochum hat nun die Chance, einzigartige Gebäude in Orte des informellen Lernens zu  transformieren.“

Im Haus des Wissens sind abgeschirmte Bereiche für ruhiges und konzentriertes Lesen genauso konzipiert wie Seminarräume und offene Bereiche des Austausches.

Ein Ort
mit Strahlkraft.